Installation
Anne Quirynen, Peter Missotten und An-Marie Lambrechts
Das Projekt wurde mit neun Tänzern des Neuen Balletts Frankfurt in
einem gläsernen Filmset verwirklicht, parallel zu den Proben von William
Forsythes Produktion Aliena(c)tion. Im Bearbeitungsprozeß haben
sich zwischen den beiden eigenständigen Projekten implizite
Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen entwickelt.
Ana Catalina Roman, Jone San Martin, Dana Caspersen, Eda Holmes, Antony Rizzi,
Thomas MacManus, Stephen Galloway, David Kern und Briad Reeder fuhren hin und
her zwischen den Proben im Tanzstudio und dem Filmset. Dort hinterließen
sie die Abdrücke ihrer Körper, nachgezeichnet und nachgeschrieben bei
jeder neuen Bewegung. Aufzeichnungen - Glyphen auf Glas.
Ein paar lange Gespräche mit William Forsythe - dem Choreographen des
Frankfurter Balletts - über seine neue Tanzproduktion brachten das ganze
Projekt in Gang. Dann gab es eine gemeinsame Faszination für das
Versetzen, für enterotisierte Körper und aufgelöste Bewegung,
die Auferlegung künstlicher Rahmen und Grenzen für den Tänzer.
Von diesem Punkt an arbeiteten wir gleichzeitig, doch unabhängig von der
Vorbereitung der neuen Tanzproduktion. Mit unserem Plan einer Videoinstallation
im Kopf suchten wir nach setups, die neue Bewegungsmodelle aus dem Tänzer
herausholen. Wir suchten neue Möglichkeiten, diese Bewegungen zu
beobachten.
In einem ersten Versuch baten wir die Tänzer, bei ihrer Orientierung von
einem vollständig abgedunkelten Raum auszugehen. Wir filmten mit einer
mobilen Infrarot-Kamera. Die Kamera - die für die Tänzer unsichtbar
blieb - schaffte einer verwirrende und unklare, auch lustige Beziehung zwischen
dem Tänzer und dem Betrachter/ der Kamera. Sehr schnell wurde klar,
daß die Tänzer sich nach dem letzten Lichtstrahl richteten, den sie
sehen können, bevor der Raum verdunkelt wurde. Sie nahmen das Licht auf
und benutzten die sich langsam auflösenden Restbilder als Grundmuster
ihrer Bewegungen. Später führten wir künstliche Restbilder
herbei: wir zeigten ihnen Projektionen von Schriftbildern, Zeichnungen,
Radierungen... Wir steigerten auch die Arbeit an der Orientierung auf die
unsichtbare Kamera.
Dieser Verlauf erwies sich aufgrund des perfekten Orientierungssinns der
Tänzer als Sackgasse; sie fühlten sich in der Dunkelheit so wohl wie
Fische im Wasser. Der Raum als solcher verschwand, und der einzelne Tänzer
zog sich in sich selbst zurück, eingeschlossen in der Perfektion seiner
eigenen Bewegungsmuster.
Es wurde ein neuer szenischer Hintergrund benötigt; das Restbild und die
Eingrenzung des Rahmen blieben der Ausgangspunkt. Eine Glasscheibe wurde zum
Arbeitsbereich der Tänzer. Wir vereinfachten die Rolle der Kamera so weit,
bis sie zu einem fast wissenschaftlichen Aufzeichnungsgerät wurde. Wie ein
Mikroskop registriert sie geduldig jede Bewegung, jede Spur, jeden Kontaktpunkt
Körper/Glas. Der Kamerarahmen war - abgesehen von der Gravitation - die
einzige absolute Grenze für den Tänzer, der konsequent auf seine
physische Identität zurückgeworfen wurde.
Wir erweiterten den Begriff Restbild; er umschließt dann Rest,
Rückstand, Nachbild, Spur, Schrift. Im Bildrahmen hinterlassen die
Bewegungen der Tänzer Spuren, Flecken, Kratzer, die ihrerseits wiederum
neue Bewegungen entstehen lassen.
Als neue Bewegungsmaterial-Oberflächen, offenbart die Kamera todbringende
Qualitäten: das separate Kameraauge friert Bewegungen ein, es fossiliert
den Tänzer, bis der zur biologischen Kuriosität wird.
Parallel zum Drehen des Filmes arbeiteten die Tänzer an dem neuen
Stück Aliena(c)tion. Bewegungsmaterial aus diesen Proben wird vor
der Kamera neu- und umgekehrt bearbeitet.
Die Videoinstallation zeichnet die Spuren all dieser Bewegungen auf. Die
nachgezeichneten Strecken sind nicht festgelegt. Der Betrachter läßt
sich dazu verführen, den vielen Nebenspuren und versteckten Assoziationen
zu folgen. Wir werden uns unseren Weg durch diesen Dschungel bahnen. Den
Dschungel des Mind of Dr. Forsythe.
Auf diese Weise lebt unsere Arbeit von einer Interaktion zwischen den Beitrag
von Forsythes Tänzern, den Impulsen, die William Forsythe als
Choreographer gibt, und den von uns geschaffenen spezifischen Situationen.