16mm, 59:00, col., England 1993, Regie: John Maybury, Produzent: Chiara Menage,
Kamera: John Mathieson, Art Director: Alan MacDonald, Schnitt: Gavin Burridge,
James Bygrave, Sound Design: Marvin Black, Darsteller: Rupert Everett, Tilda
Swinton, Eros Erosion
Vor malerischen Hintergründen -Berge, Wüsten, Meere,
Zukunftsstädte, einer Mondlandschaft -, die an Gemälde zwar erinnern,
tatsächlich aber dem Computer entstammen, erstehen elektronische Tableaux
vivants, in denen sich die unterschiedlichsten Charaktere begegnen:
Transvestiten, Terroristen, Narren, Teufel, Engel, Nachrichtensprecher,
verschleierte Frauen, ein Mann auf einem Scheiterhaufen, hübsche junge
Männer in nichts als weißen Tennissocken (und die sich dennoch an
die Wäsche gehen).
Dazwischen erzählen die Hauptdarsteller sowohl ausgedachte als auch wahre
Geschichten zumeist erotischen Inhalts - eine Dramaturgie, die sich der Cut
up-Methode des Fernsehens (Werbeblöcke, Satellitenschaltung) bedient,
wobei hier allerdings die poetische Struktur wichtiger ist als die Botschaft.
Remembrance of Things Fast stellt den Höhepunkt der Videoarbeit von
Regisseur J. Maybury dar, die sich mit der Technik selbst weiterentwickelt hat,
und zum Zeitpunkt des Schreibens dieser Zeilen mit Recht als State of the Art
bezeichnet werden kann. Produziert mit dem lächerlichen Zuschuß von
25.000 Pfund vom Arts Council und Channel 4, mit großzügiger
Unterstützung des Cutting Edge Facility House Soho 601 spielen in dem Film
u.a. Rupert Everett, Tilda Swinton und der amerikanisch-britische Pornostar
Aiden Shaw mit.
Der Film ist eine Beschreibung und Gegenüberstellung von weltweiten
Konventionen des Fernsehens und der Satellitenübertragungen, des
fragmentarischen und chaotischen Wesens des Mediums und der dreiminütigen
Aufmerksamkeitsspanne, wobei gleichzeitig der fade Inhalt der Mainstream-Bilder
durch dunklere, eher satirische Beobachtungen und Studien ersetzt wird.
Der Kern des Films besteht aus einer Anzahl von Talking-Head-Erzählungen,
die aus den intensiven persönlichen Erfahrungen der Erzähler stammen.
Die Umgebung ist surreal, virtuelle Realität, TV LAND: Landschaften und
imaginäre Städte, vorteilhaft in Szene gesetzt durch Marvin Blacks
dichten, dunklen Soundtrack: ein Cyberspace, in dem das Unmögliche sehr
gut möglich ist. In dieser parallelen Welt handeln, beobachten und reden
Archetypen, die von einer starken sexuellen Empfindsamkeit beseelt sind. Die
fließende, nonlineare Struktur des Films wurde durch Schnittechniken
erreicht, die erst während der Konzeption des Films verfügbar wurden;
so sind vielfältige Interpretationen denkbar. Komödie und
Tragödie, Realität und Erfindung konfrontieren und unterminieren sich
ständig gegenseitig. Vom Publikum wird erwartet, daß sie ihre
kulturelle Arroganz, ihre sozialen Hintergründe und politische
öberzeugungen sechzig Minuten vergessen und sich auf das Motto des Films
konzentrieren:Wahre Geschichten, visuelle Lügen.
Ausgezeichnet mit dem Spezialpreis Teddy Bär beim Berlin Film Festival
Februar 1994.
John Maybury: geboren 1958 in London. Während des Kunststudiums am
North East London Polytechnic erste Super8-Filme. Ab 1977 Kostüm- und
Set-Design bei Filmen Derek Jarmans. Seit 1982 eigene Avantgarde-Filme,
weiterhin als bildender Künstler aktiv. Drehte Musikvideos u.a. für
Neneh Cherry und Sinead O`Connor (Nothing compares 2u). Hat mit Tilda Swinton
zuvor schon bei seiner Theater-Adaption Man to Man (nach Manfred Karge)
zusammengearbeitet. Lebt in London.