Interview von Steven Gallagher mit Homer Flynn
Während ihrer gesamten zwanzigjährigen Karriere haben die Residents ,
eine zurückgezogen lebende Band aus San Francisco, ihre Identität
sorgfältig gehütet; sie hatten schon am Anfang beschlossen, daß
persönliche Details für die Arbeit der Gruppe und ihre Förderung
irrelevant sind (der Name der Band selbst beruht auf einer Inspiration durch
eine banale Postwurfsendung, die ihnen ins Haus flatterte und einfach an den
Resident , den Einwohner, adressiert war). Mit ihren Auftritten in einer
Kollektion von surrealen Kostümen - darunter auch ihr Markenzeichen,
die übergroßen Augenball-Köpfe - haben sie nichtsdestoweniger
eine charakteristische Arbeitspalette in einem weit gesteckten Medienrahmen
geschaffen, und sie sind als Mit- Erfinder des Musikvideo-Formats und als
Pioniere der alternativen Musik und Performancekunst anerkannt. 1994
veröffentlichten die Residents ihre erste CD-ROM über die Voyager
Company und sie ist, formgetreu, sowohl bahnbrechend als auch von Anfang bis
Ende charakteristisch.
Die CD-ROM The Residents Freak Show, die Motive zur Grundlage hat, die
in einem eponymischen Album und einem graphischen Roman entwickelt wurden,
enthält dreidimensionale computeranimierte Freaks , die in Zusammenarbeit
mit dem Programmierer Jim Ludtke geschaffen. Mit einem Punkt und einem Click
kann man Wanda, The Worm Woman und eine Menge anderer Circus- Freaks dazu
bringen, unter dem großen Zelt aufzutreten oder hinter die Bühne zu
gehen und in ihren persönlichen Habseligkeiten herumwühlen (Die
Residents gehören auch zu den auftretenden Freaks ; ein Blick in ihre
Vorschau zeigt eine Auswahl ihrer umfangreichen audio-visuellen Produktion).
Die Residents, die zur Zeit an einer CD-ROM für Inscape arbeiten (ein
neues Multimedia-Label von Warner Music und HBO), sprachen mit Stephen
Gallagher vom Filmmaker über ihren Co-Manager Homer Flynn.
Filmmaker: Was ist die Entstehungsgeschichte des Freak-Show -Projekts?
Homer Flynn: Das Interesse der Residents an Freak-Shows kommt aus zwei
Quellen: Die direkteste Inspiration war die Tourneen. Die Residents hatten
soeben die CUBE-E -Tour beendet (1990), als sie damit begannen, das Freak-Show
-Album aufzunehmen und daran zu schreiben; nach der Tour fühlten sie sich
und sahen sich als Freaks, deutlicher als je zuvor.
Die zweite Inspiration war die Erinnerung an echte Freak-Shows auf
Jahrmärkten in Louisiana und Texas, die sie in den fünfziger und
sechziger Jahren gesehen hatten. Viele der historischen Freaks in der
Pickled-Punk -Sektion der CD-ROM - Grace McDaniels, the Frau mit dem
Maultiergesicht und Grady Styles, der Hummer-Junge zum Beispiel - wurden
gesehen und von einigen der Residents -Mitglieder nie vergessen. Es war ein
Thema, mit dem sie sich schon lange Zeit vorher beschäftigen wollten, und
das Timing, bezogen auf die Tour, und die Tatsache, daß der Stoff
politisch überhaupt nicht opportun war, stellten einen Reiz für sie
dar.
Filmmaker: Was zog die Residents denn zum CD-ROM Format?
Flynn: Die Residents haben
ihren ersten CD-ROM-Player vor ungefähr
vier oder fünf Jahren
gekauft. Anfangs wurde er als eine
Möglichkeit genutzt, ohne riesigen und teuren Speicherbedarf ein
großes Archiv von Soundmustern aufzubauen. Sie waren dann fasziniert von
den Möglichkeiten, die sie in dem Medium sahen.
Durch Freunde, die sie im Computerbereich hatten, wurden sie sogar noch weiter
in diese Richtung getrieben - besonders von Ty Roberts, dem Gründer von
ION, dem Multimedia-Label, das gerade David Bowies CD-ROM Jump
veröffentlicht hat.
Filmmaker: Wo lagen die Grenzen dieses neuen Formates, oder, anders herum, was
sahen die Residents so Befreiendes daran?
Flynn: Die wichtigste Einschränkung, mit der sie sich beschäftigen
mußten, war der Ton. Da ein hochwertiger CD-Sound die volle Bandbreite
einer Disk einnimmt, mußte die Musik in einer geringeren Rate
aufgezeichnet werden (was zu niedrigerer Klangtreue führte), um zu
erreichen, daß die Animation zeitgleich mit dem Ton ablief.
Außerdem ist der Informationsfluß vom CD-ROM-Player zum Computer
noch immer so langsam, daß eine Menge der Animation in einem kleinen
Fenster und nicht als Vollbild gemacht werden mußte. Das Befreiende daran
war, daß die Residents meinten, daß der visuelle Aspekt ihrer
Vorstellungen vollständig sondiert und zum erstenmal realisiert werden
konnte. Sie meinten, der Kompromiß würde sich bestimmt lohnen.
Filmmaker: Um was geht es in dem neuen CD-ROM-Projekt?
Flynn: A Bad Day on the Midway ist eine Erweiterung der Welt der Freak
Show. Es wird Spiele, Fahrten, Exponate und ein Dutzend brandneue und
hoch-exzentrische Charaktere enthalten. Die Residents haben es als eine
unheilige Vereinigung von Twin Peaks und SimCity in einer Karnevalsumgebung
bezeichnet.
Filmmaker: Worin wird es sich von der Freak-Show-CD-ROM unterscheiden?
Flynn: Es wird von Anfang an als interaktives Projekt geschrieben. Freak
Show war im Grunde von einer Audio-CD genommen worden und folgt noch
derselben Grundstruktur wie eine Compact-Disk; es ist eine Reihe linearer
Geschehnisse, die durch die folgenden interaktiven Wege ausgelöst werden
können. Bei der neuen Disk werden die vom Anwender getroffenen
Entscheidungen verschiedene Ereignisse oder Ergebnisse beeinflussen, die erst
später in der CD-ROM folgen. Technisch gesehen wird sie in einer
brandneuen Programmierumgebung geschrieben, die Dinge möglich macht, die
bei der Schaffung der Freak Show noch nicht einmal vorstellbar waren.
(Mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift Filmmaker , New York.)