(EMAF96)
EUROPEAN MEDIA ART FESTIVAL · 11-15 SEPTEMBER 1996 · OSNABRÜCK

The Technobody - A Cybertalk with Stelarc

EMAF 1994

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U-matic, 32:00, b/w & col.,Schweiz 1993, Realisation: Robert A. Fischer Kamera: R.A. Fischer, Wim Kolb, Schnitt: R.A. Fischer, Chr. Ledermann
Performer: Stelarc

The Technobody - A Cybertalk with Stelarc wurde für das von Künstlern durchgeführte TV-Projekt VisionTeleVision , einer wöchentlichen, einstündigen und seit Juni 1993 im lokalen Kabelfernsehen von Zürich präsentierten Sendung, produziert. Der Film paßt in das Genre , bestehend aus Artists` Television / Television-Art / Minimal TV / Illustrated Radio / Radical Talking Head / Televisual Text / Time-based Portrait / Low Budget Broadcast / AV Semiotics.

Visiontelevision ist eine Sendung, die ausschließlich von Künstlern gemacht wird. Die Zielsetzung liegt in der Arbeit an der Achse Fernsehkunst/ Künstlerfernsehen/ Fernsehgalerie . Ein Hauptteil der Sendung besteht aus der Präsentation von Videokunst und formal wie ästhetisch anspruchsvollen audiovisuellen Arbeiten. Sie stellt auch Eigenproduktionen über lokale, nationale und internationale Kultur- und Kunstereignisse her; für diese werden spezifische Informationsstrategien entwickelt. In dieser Hinsicht ist die Sendung auch ein Workshop, in dem kreative Fernsehformen erforscht werden, die sich von der Videokunst unterscheiden. Während es unserer Meinung nach bei der Videokunst um formale und ästhetische Untersuchungen für das Publikum von Festivals, Galerien und Museen geht, beschäftigt sich Fernsehkunst vorwiegend mit dem Prinzip von Kunst & Information für ein Massenpublikum. Bei der Fernsehkunst sind formale und ästhetische Aspekte von Sinn und Inhalt abhängig - im Gegensatz zum heutigen Fernsehen, bei dem ungenaue visuelle Signale einen verschwommenen Inhalt tragen. In diesem Punkt arbeitet unser Projekt an Fragen der Fernsehlinguistik und -semiotik; es wird versucht, Grundsätze einer audiovisuellen Sprache herauszufinden und die Schaffung von televisuellen Texten zu ermöglichen >- poetisch, episch, dramatisch, essayistisch - statt televisueller Bilder (die meistens immer noch - unbewußt - mit filmischen Strategien arbeiten).

In meinem Video The Technobody benutze ich eines der grundlegenden syntaktischen Elemente des Fernsehens: den Talking Head . Es ist eine radikale Anwendung von Fernsehen als illustriertes Radio und basiert auf der am meisten gesprochenen Kommunikationsebene des Fernsehens. Der Talking Head stammt als Element der televisuellen Informationsstrategie aus den Anfängen der drahtlosen Bilder-öbertragung, als die Aufnahmemaschinen (Kathoden-Kameras) so schwer waren, daß sie nur im Studio benutzt wurden, und zwar in einer Situation, in der das Signal direkt übertragen wurde. Zu dieser Zeit lag die Lösung für das Vermitteln von Inhalt darin, einen Radiosprecher zu zeigen (mit seinem gesprochenen Text), der Bilder aus externen Quellen präsentierte, kommentierte und einblendete (Filme, Dias, Cartoons, Logos, Landkarten usw.) Daran hat sich bis heute nichts geändert: Das Fernsehen ist noch immer überwiegend illustriertes Radio. Es wird kein Versuch unternommen, die in der Videokunst getestete Syntax zur Informationsübermittlung zu benutzen.

In The Technobody präsentiert der Talking Head konsequent nur sich selbst als visuelle Information. Der gewählte Bildrahmen ändert sich über die gesamte Länge des Gesprächs nicht. Der Interviewer wird ausgeblendet und durch Typographie-Titel ersetzt. Der
Talking Head ist die Information über sich selbst. Er funktioniert als Subjekt zeitbezogener Photographie. Dem Zuschauer/Zuhörer ist es gestattet, sich die visuelle Präsenz des Talking Head - der nicht Fremdmaterial präsentiert, sondern sich selbst - in voller Länge anzusehen. Dies verleiht den gesprochenen Inhalten des Sprechers eine neue Bedeutung. Es ist ein audiovisueller Text. Illustriertes Radio in Reinkultur.

Die Radikal-Ausstrahlung des Talking Head belebt Begriffe wie Zeitausdehnung im Fernsehen neu; sie waren in ihrer heutigen fragmentierten und fragmentarischen Anwendung verlorengegangen. In meinen Augen ist die Elektronikbild-Technologie das ideale Werkzeug zur Vermittlung von ungekürzten Real-Time-Erlebnissen. Der Dialog zwischen visueller und gesprochener Information erlaubt es dem Sprecher, zwischen den beiden Ebenen hin- und herzuschalten. Das Video wurde geschnitten, um es dem Zuschauer/Zuhörer zu ermöglichen, die Audio-Information aus den Augen zu verlieren . Der Diskurs kann an jeder Stelle des Videos aufgenommen werden.

Der wichtigste Grund dafür, den Talking Head als syntaktisches Element zu wählen, ist für mich mit dem Inhalt des Gesprächs der Protagonisten verbunden. Der australische Performance-Künstler und Soziologe der elektronischen Technokultur Stelarc beschäftigt sich mit den Implikationen der neuen Technologien für die Situation und die Erfahrung des Körpers. Er arbeitet schon 15 Jahre mit Erfahrungen der sensorischen Deprivation und beschäftigt sich jetzt mit High-Tech-Körperprothesen. Es ist irgendwie widersprüchlich, daß ein Talking Head über Körper-Prozesse spricht. In diesem Aspekt vermittelt das Video keine Informationen über die Arbeit des Künstlers/Protagonisten, sondern einen zusätzlichen Informationsbereich. Das Fernsehen soll die Welt nicht in Ihr Wohnzimmer bringen - und am Ende das tatsächliche Erleben der Welt ersetzen. Das Fernsehen soll Informationsebenen übermitteln, die das Erleben der Welt ergänzen, kommentieren oder im Gegensatz dazu stehen. Nachdem er dieses Video gesehen hat, soll der Zuschauer/Zuhörer hinausgehen, um Live-Erfahrungen (oder andere Formen gespeicherter Information: Fotografie, Videos, Filme, Artikel, CD-ROMs usw.) mit Stelarcs Kunst zu machen. Das Video ist nur ein Aspekt seiner Arbeit. Kunst für das Fernsehen besteht im Produzieren televisueller Texte, wobei Informationsbereiche einer Multimedia-Kultur eingerichtet werden, in der das Live-Erlebnis eine feste Priorität bleibt. (Robert A. Fischer)

Robert Fischer: geboren 1942. Ethnologe, Kulturwissenschaftler, Kunstkritiker & Theoretiker, Autor, Medienkünstler. Schwergewicht: Neue Technologien, Kommunikationstheorie, Alltagskultur, Urbanismus, Medienästhetik, Experimentalfilm, VideoArt. Lebt und arbeitet in Zürich als Forscher, Publizist, Kunst- und Kulturkritiker, Kurator von Ausstellungen, Organisator von Symposien und Veranstaltungen. Vorträge und Publikationen im In- und Ausland. Medien-, Film- und Video-Experimente seit 1965. Schreibt u.a. über Neue Medien in der Neuen Züricher Zeitung. Letzte Buchveröffentlichung (Hrsg.): Kunst in der Schweiz, Köln Kiepenheuer & Witsch 1991. Recherchiert gegenwärtig Aspekte der elektronischen Technokultur für seine Doktorarbeit an der Universität Zürich



© 1996 Aug 12 EMAF / emaf@bionic.zerberus.de


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