U-matic, 32:00, b/w & col.,Schweiz 1993, Realisation: Robert A. Fischer
Kamera: R.A. Fischer, Wim Kolb, Schnitt: R.A. Fischer, Chr.
Ledermann
Performer: Stelarc
The Technobody - A Cybertalk with Stelarc wurde für das von
Künstlern durchgeführte TV-Projekt VisionTeleVision , einer
wöchentlichen, einstündigen und seit Juni 1993 im lokalen
Kabelfernsehen von Zürich präsentierten Sendung, produziert. Der Film
paßt in das Genre , bestehend aus Artists` Television /
Television-Art / Minimal TV / Illustrated Radio / Radical Talking Head /
Televisual Text / Time-based Portrait / Low Budget Broadcast / AV Semiotics.
Visiontelevision ist eine Sendung, die ausschließlich von
Künstlern gemacht wird. Die Zielsetzung liegt in der Arbeit an der Achse
Fernsehkunst/ Künstlerfernsehen/ Fernsehgalerie . Ein
Hauptteil der Sendung besteht aus der Präsentation von Videokunst und
formal wie ästhetisch anspruchsvollen audiovisuellen Arbeiten. Sie stellt
auch Eigenproduktionen über lokale, nationale und internationale Kultur-
und Kunstereignisse her; für diese werden spezifische
Informationsstrategien entwickelt. In dieser Hinsicht ist die Sendung auch ein
Workshop, in dem kreative Fernsehformen erforscht werden, die sich von der
Videokunst unterscheiden. Während es unserer Meinung nach bei der
Videokunst um formale und ästhetische Untersuchungen für das Publikum
von Festivals, Galerien und Museen geht, beschäftigt sich Fernsehkunst
vorwiegend mit dem Prinzip von Kunst & Information für ein
Massenpublikum. Bei der Fernsehkunst sind formale und ästhetische Aspekte
von Sinn und Inhalt abhängig - im Gegensatz zum heutigen Fernsehen, bei
dem ungenaue visuelle Signale einen verschwommenen Inhalt tragen. In diesem
Punkt arbeitet unser Projekt an Fragen der Fernsehlinguistik und -semiotik; es
wird versucht, Grundsätze einer audiovisuellen Sprache herauszufinden und
die Schaffung von televisuellen Texten zu ermöglichen >- poetisch,
episch, dramatisch, essayistisch - statt televisueller Bilder (die meistens
immer noch - unbewußt - mit filmischen Strategien arbeiten).
In meinem Video The Technobody benutze ich eines der grundlegenden
syntaktischen Elemente des Fernsehens: den Talking Head . Es ist eine
radikale Anwendung von Fernsehen als illustriertes Radio und basiert auf
der am meisten gesprochenen Kommunikationsebene des Fernsehens. Der Talking
Head stammt als Element der televisuellen Informationsstrategie aus den
Anfängen der drahtlosen Bilder-öbertragung, als die Aufnahmemaschinen
(Kathoden-Kameras) so schwer waren, daß sie nur im Studio benutzt wurden,
und zwar in einer Situation, in der das Signal direkt übertragen wurde. Zu
dieser Zeit lag die Lösung für das Vermitteln von Inhalt darin, einen
Radiosprecher zu zeigen (mit seinem gesprochenen Text), der Bilder aus externen
Quellen präsentierte, kommentierte und einblendete (Filme, Dias, Cartoons,
Logos, Landkarten usw.) Daran hat sich bis heute nichts geändert: Das
Fernsehen ist noch immer überwiegend illustriertes Radio. Es wird kein
Versuch unternommen, die in der Videokunst getestete Syntax zur
Informationsübermittlung zu benutzen.
In The Technobody präsentiert der Talking Head konsequent
nur sich selbst als visuelle Information. Der gewählte Bildrahmen
ändert sich über die gesamte Länge des Gesprächs nicht. Der
Interviewer wird ausgeblendet und durch Typographie-Titel ersetzt. Der
Talking Head ist die Information über sich selbst. Er
funktioniert als Subjekt zeitbezogener Photographie. Dem Zuschauer/Zuhörer
ist es gestattet, sich die visuelle Präsenz des Talking Head - der nicht
Fremdmaterial präsentiert, sondern sich selbst - in voller Länge
anzusehen. Dies verleiht den gesprochenen Inhalten des Sprechers eine neue
Bedeutung. Es ist ein audiovisueller Text. Illustriertes Radio in Reinkultur.
Die Radikal-Ausstrahlung des Talking Head belebt Begriffe wie
Zeitausdehnung im Fernsehen neu; sie waren in ihrer heutigen fragmentierten und
fragmentarischen Anwendung verlorengegangen. In meinen Augen ist die
Elektronikbild-Technologie das ideale Werkzeug zur Vermittlung von
ungekürzten Real-Time-Erlebnissen. Der Dialog zwischen visueller und
gesprochener Information erlaubt es dem Sprecher, zwischen den beiden Ebenen
hin- und herzuschalten. Das Video wurde geschnitten, um es dem
Zuschauer/Zuhörer zu ermöglichen, die Audio-Information aus den Augen
zu verlieren . Der Diskurs kann an jeder Stelle des Videos aufgenommen
werden.
Der wichtigste Grund dafür, den Talking Head als syntaktisches
Element zu wählen, ist für mich mit dem Inhalt des Gesprächs der
Protagonisten verbunden. Der australische Performance-Künstler und
Soziologe der elektronischen Technokultur Stelarc beschäftigt sich mit den
Implikationen der neuen Technologien für die Situation und die Erfahrung
des Körpers. Er arbeitet schon 15 Jahre mit Erfahrungen der sensorischen
Deprivation und beschäftigt sich jetzt mit High-Tech-Körperprothesen.
Es ist irgendwie widersprüchlich, daß ein Talking Head
über Körper-Prozesse spricht. In diesem Aspekt vermittelt das Video
keine Informationen über die Arbeit des Künstlers/Protagonisten,
sondern einen zusätzlichen Informationsbereich. Das Fernsehen soll die
Welt nicht in Ihr Wohnzimmer bringen - und am Ende das tatsächliche
Erleben der Welt ersetzen. Das Fernsehen soll Informationsebenen
übermitteln, die das Erleben der Welt ergänzen, kommentieren oder im
Gegensatz dazu stehen. Nachdem er dieses Video gesehen hat, soll der
Zuschauer/Zuhörer hinausgehen, um Live-Erfahrungen (oder andere Formen
gespeicherter Information: Fotografie, Videos, Filme, Artikel, CD-ROMs usw.)
mit Stelarcs Kunst zu machen. Das Video ist nur ein Aspekt seiner Arbeit. Kunst
für das Fernsehen besteht im Produzieren televisueller Texte, wobei
Informationsbereiche einer Multimedia-Kultur eingerichtet werden, in der das
Live-Erlebnis eine feste Priorität bleibt. (Robert A. Fischer)
Robert Fischer: geboren 1942. Ethnologe, Kulturwissenschaftler,
Kunstkritiker & Theoretiker, Autor, Medienkünstler. Schwergewicht:
Neue Technologien, Kommunikationstheorie, Alltagskultur, Urbanismus,
Medienästhetik, Experimentalfilm, VideoArt. Lebt und arbeitet in
Zürich als Forscher, Publizist, Kunst- und Kulturkritiker, Kurator von
Ausstellungen, Organisator von Symposien und Veranstaltungen. Vorträge und
Publikationen im In- und Ausland. Medien-, Film- und Video-Experimente seit
1965. Schreibt u.a. über Neue Medien in der Neuen Züricher Zeitung.
Letzte Buchveröffentlichung (Hrsg.): Kunst in der Schweiz, Köln
Kiepenheuer & Witsch 1991. Recherchiert gegenwärtig Aspekte der
elektronischen Technokultur für seine Doktorarbeit an der Universität
Zürich