// Neu im Verleih

TRAINS OF WINNIPEG 

Clive Holden // CDN 2004, 35mm , 88:30

POST-CYCLE Filmische Gedichte, Kumulative Erzählung und der Künstler als Fiktion

„Bei der Wahl des Untertitels habe ich mich aus verschiedenen Gründen für den Begriff ›filmisches Gedicht‹ entschieden. Zuallererst weil das Wort ›Lyrik‹ in seiner Geschichte inzwischen ein eigenartiges Stadium erreicht hat. Als Kunstform wird sie noch immer genial praktiziert und hat viele begeisterte Anhänger, konzeptuell aber scheint sie sich in einer Sackgasse zu befinden; bei manchen ist ›Lyrik‹ bereits zum Witzwort verkommen und hat einen fast obszönen Unterton. Mir kommt es fast so vor, als habe es inzwischen eine Art ›Das-ist-so-out-dass-es-schon-wieder-in-ist‹- Status erreicht, weshalb es für mich einen gewissen Reiz hat, und wenn es nur bloße Neugierde ist.
Ich habe bewusst nach dem Prinzip ›aus alt mach neu‹ experimentiert und mit einer interessanten Mischung aus Konzept und Kitsch gespielt, die zu einem nicht-linearen, organischen Prozess führen kann. Dadurch und indem ich es mit bewegten Bildern, Klang und einer Mischung von analogen und digitalen Technologien kombinierte, hoffte ich ein rühmliches Ziel zu erreichen: ein altes, stolzes Wort teilweise mit neuem Leben zu erfüllen.

Zum Zweiten unterstützt es das übergeordnete Projekt, mit verschiedenen Präsentationsformen von Lyrik zu experimentieren. Als Drittes und Letztes taucht der Begriff ›filmisches Gedicht‹ immer wieder in der Geschichte des Kinos auf, und heutzutage, wo technische Veränderungen sehr viel öfter auch nicht-industriellen Künstlern filmische Werkzeuge zugänglich machen, scheint es mir sinnvoll, deutlicher zwischen einer ›dramatischen Erzählung‹ und weniger linearen Arbeiten zu unterscheiden. Allgemein ausgedrückt, wir wissen zwar, was der Unterschied zwischen einem Gedicht und einem Roman ist; in der Geschichte der bewegten Bildkunst aber sind die Abgrenzungskriterien nicht so eindeutig. Im Grunde hoffe ich, dass ein ganz neues Genre entstehen wird, das alles einbezieht, sei es ›Lyrik‹ auf Zelluloid oder digital, oder was in Zukunft noch kommen mag. Eine unverhoffte Nebenerscheinung meines Film-Zyklus' – und das ging aus den Zuschauerkommentaren hervor - war die Tatsache, dass im Rahmen des Gesamtwerkes eine quasi-fiktionale Figur im Kopf der Leute entstanden ist mit Namen ›Clive Holden‹. Vermutlich ist das auf die Reihenfolge zurückzuführen, in der ich die 14 Filme zusammengestellt habe, wodurch anscheinend eine Art ›kumulative Erzählung‹ entstanden ist.

Ich hatte die Verbindung der 14 Filme untereinander eigentlich weitgehend metaphorisch ,intuitiv, emotional, formal und tonal gesehen und nicht bedacht, dass der Umstand, dass das lyrische ›Ich‹ (engl. ›I‹
oder ›eye‹ bei filmischen Ich-Erzählungen) überall identisch ist, eine ganz andere Verbindung schafft. Die Ansammlung von Erinnerungen, Eindrücken und Konzepten sind die eines einzelnen Künstlers, und in den Augen der Zuschauer erzählen sie seine Geschichte. Ganz gleich, wie akkurat die Darstellung der biografischen Angaben war, das Publikum musste es unweigerlich so auffassen. Was mich selbst betrifft (und meinen Blick aus dem Arbeitsprozess heraus), so habe ich zwar bewusst autobiografische Elemente eingesetzt, sah sie aber mehr als Rohmaterial, mit dem man arbeiten konnte; sie hatten für mich keine besondere persönliche Qualität. So habe ich zum Beispiel auch nicht gezögert, so genannte faktische Details
abzuwandeln, um die Arbeit insgesamt zu verbessern. Das ist eine Parallele zu dem, was wir traditionellerweise als ›Lyrik‹ bezeichnen - dass nämlich Kunstvideos und Experimental-/Avantgarde-Filme ebenso entweder dem fiktionalen oder dem nicht-fiktionalen Bereich zugeordnet werden können.“ (Clive Holden)

CLIVE HOLDEN ist Künstler und Schriftsteller und lebt in Winnipeg. Seine Kurzfilme und Videos wurden beim London International Film Festival, beim Ann Arbor Festival, beim European Media Art Festival Osnabrück und beim ZEBRA-Festival in Berlin gezeigt. Sein erster Film/erstes Video mit Spielfilmlänge, Trains of Winnipeg, wurde 2004 beim Images Festival uraufgeführt, wurde zum Abschluss des 50. Robert-Flaherty-Filmseminar gezeigt und ist in der offiziellen Auswahl des Rotterdam Filmfestivals 2005. Er hat zwei Bücher mit Gedichten und Belletristik veröffentlicht und eine CD herausgebracht. http://www.trainsofwinnipeg.com/