// AUSSTELLUNG

"DOCUMENT"

// Kunsthalle Dominikanerkirche / 20. April – 15. Mai 2005

Ausstellungsansicht




Fotos: Friso Gentsch, Kerstin Hehmann, Angela von Brill (c) 2005











Papiere bitte! Besucher werden zu Polizisten. Zweieinhalb Meter Tattoo. Ein Künstler zahlt sechs jungen Kubanern je 30 Dollar und tätowiert ihnen eine Linie auf den Rücken. Drücken oder ziehen. Mit kleinen Aktionen greift eine Künstlerin in den öffentlichen Alltag ein. Erfolgreicher Fehlschlag. Veteranen des Fluxus und ihre anarchische Kunst. Unterlassene Hilfe. Ein kranke Palästinenserin am israelischen Checkpoint.

Fünf Schlaglichter aus der Ausstellung des EMAF, die in diesem Jahr das Kunstwerk als Dokument eines kreativen Prozesses beleuchtet. Fünf von insgesamt zwölf Werken internationaler Künstler, die sich auf ganz unterschiedliche Weise dem Motto Document nähern.

Mal unterhaltsam wie Julika Rudelius mit "train", mal hart an der Realität wie Avi Mograbi in "Detail", dann provozierend wie Santiago Sierra mit "Linie" oder mit einem selbstironischen Lächeln wie bei Hartmut Jahns "Schalten Sie den Fernseher ab!".


Peter Greenaway



The Tulse Luper Journey – The Game

// Großbritannien / Niederlande, 2004

Anhand des Schicksals seines Helden Tulse Luper erzählt Greenaway in seinem multimedialen Großprojekt "The Tulse Luper Suitcases" die Geschichte des 20. Jahrhunderts. An den verschiedenen Stationen seines Lebens hinterlässt Luper insgesamt 92 Koffer. In drei dieser Koffer präsentiert Greenaway Computerspiele, die exemplarisch Situationen der 40er und 50er Jahre beleuchten. Darin werden die Besucher zu Piloten von Hilfsflügen, müssen die Pässe von Immigranten kontrollieren oder chiffrieren Texte in Moskau.


Avi Mograbi

Detail

// Israel, 2004

An einem israelischen Checkpoint: Auf der einen Seite eine palästinensische Familie, in ihrer Mitte eine blutende Frau. Auf der anderen Seite braust ein gepanzertes Fahrzeug heran und stoppt in einer Staubwolke. Die Palästinenser bitten, das Krankenhaus aufsuchen zu dürfen. Die israelischen Soldaten, unsichtbar hinter den vergitterten Scheiben ihres Jeeps, antworten nur: "Go Away". Eine alltägliche Szene aus Palästina, ein Detail des israelisch-palästinensischen Konflikts, in den auch der beobachtende Reporter mit Kamera hineingezogen wird.





Harun Farocki


Auge/Maschine I – III

// Berlin, 2001 - 2004

Im ersten Golfkrieg leiteten modernste Kommunikationsmittel und computergestützte Bildverarbeitungsprogramme die Bomben zu ihren Zielen. Dieselbe Technik wird heute an anderen Fronten für andere Ziele eingesetzt: Sie analysiert das Konsum- und Einkaufsverhalten von Kunden. Harun Farocki verknüpft Bildmaterial aus dem Krieg mit dem aus der Welt des Konsums und zeigt, wie die Bildtechnologie in einem umfassenden Konsumenten-Kontrollsystem verwendet wird.


Herman Asselberghs


a.m./p.m.

// Belgien, 2004

Langsam ziehen Hochhäuserpanoramen durchs Bild. Die Stimme einer Frau berichtet nüchtern von der Angst, die die immer neuen Katastrophenmeldungen und Terroranschläge bei ihr auslösen. Die ’entschleunigten’ Bilder unwirtlicher Fassaden mit ihren menschenleeren Fensterhöhlen unterstreichen die schleichende Verunsicherung, die die Selbstsicherheit in den reichen westlichen Konsumgesellschaften untergräbt. Nur der entrückte "panoramatische Blick" scheint die Menschen vor einen Überfluss an urbanen Reizen bewahren zu können. In der Distanz gehen die individuellen Eigenschaften der Dinge verloren.


Santiago Sierra



Foto: Galerie Kilchmann Zürich

Línea de 250cm tatuada sobre seis personas remuneradas
250 cm line tattooed on six paid people
Linie von 250 cm Länge auf sechs bezahlte Personen tätowiert

// Spanien / Mexiko, 1999

Von Kunst und Kapitalismus: Santiago Sierra lenkt den Blick des Betrachters fort vom Kunstwerk hin zu den Bedingungen seiner Herstellung. Für "Linie" bezahlte er in Havanna sechs arbeitslose Männer dafür, dass sie sich eine durchgehende Linie auf die Rücken tätowieren ließen. Das Video, ohne Pathos und Anteilnahme erstellt, wird zum Dokument dieser einmaligen Kunstaktion. Lohn der Kunst: 30 Dollar für jeden. Zu wenig? Der Durchschnittslohn in Kuba liegt bei neun Dollar – im Monat.

Courtesy: Sammlung Goetz München

// Special // Lecture

// Do., 21. April, 18.00 Uhr, Innenhof der Dominikanerkirche

"Der Gestaltungswille des Santiago Sierra"
von Dr. Eva-M. Nasner-Maas, Psychoanalytikerin in Osnabrück

Santiago Sierra hat in den letzten Monaten durch eine Installation in der Kestnergesellschaft Hannover "Haus im Schlamm" auf sich aufmerksam gemacht. Auf dem diesjährigen European Media Art Festival in Osnabrück läuft in der Ausstellung in der Dominikanerkirche ein Video von Santiago Sierra "Linie von 250 cm Länge auf sechs bezahlte Personen tätowiert" (Linea de 250 cm tatuada sobre seis personas remuneradas, Spanien, Mexico 1999). Der Vortrag bezieht sich auf dieses Video, das zu Beginn der Veranstaltung gezeigt wird.

Veranstalter ist der Verein der Freunde der Dominikanerkirche Osnabrück e.V. in Kooperation mit dem European Media Art Festival.


Jan-Peter E.R. Sonntag


612.43WEISS/l.s.

// Berlin / Barcelona, 2005

Sonntag verbindet zwei historische Dokumente zu einem "beinahe-Film": Das Foto eines Tross vor Stalingrad und eine Schellack-Aufnahme des "Leiermanns" aus Schuberts "Winterreise" von Heldenbariton des Dritten Reichs Hans Hotter aus dem Jahr 1943. Sonntag thematisiert das Verhältnis von historischem Material und Kunstwerk und ermöglicht ungewohnte Sehweisen und eine ästhetische Wahrnehmung historischer Kontexte. Dies ist die erste Kooperation zwischen dem Edith-Ruß-Haus für Medienkunst in Oldenburg und dem EMAF.




Bettina Hoffmann


La ronde

// Kanada, 2004

Das Video untersucht den Mikrokosmos von intimen, menschlichen Beziehungen. Es stellt drei häusliche Szenen dar, voller Andeutungen und Erwartungen. Die Personen scheinen eingefroren. Sie schweigen und bewegen sich nicht, nur die Kamera rotiert in steter, langsamer Bewegung um sie herum. Montiert als Loop, dehnen sich Zeit und Bild.


Julika Rudelius


train

// Niederlande, 2001

Spät nachts in der S-Bahn: Eine Gruppe Jugendlicher auf dem Weg von einer Party nach Hause. Jeder will der Größte sein, sie prahlen bis zum Gehtnichtmehr, versuchen sich gegenseitig an Kraftausdrücken zu übertreffen. Kein Wunder, bei dem Thema: Es geht um ihre Freundinnen. Die Kamera dokumentiert ihr großspuriges Getue, scheinbar unbemerkt. Hier entlarvt eine Filmemacherin eine Gruppe Möchtegern-Machos. Oder ist doch alles anders? Alles nur eine Inszenierung?


Ella Ziegler


Interventionen

// Berlin, 1999 – 2005

Mit hintergründigem Humor und frei nach dem Fluxus-Motto ’Das Bekannte unbekannt machen’ greift Ella Ziegler mit kleinen Aktionen in den gewohnten Fluss des alltäglichen städtischen Lebens ein und stiftet – nur ein bisschen - Verwirrung. Oft bindet sie fremde Menschen in die performativen Akte ein, die sie in kurzen, verdichteten Texten und fotografischen Dokumentationen festhält. In Osnabrück zeigt sie "push/pull", ein Kunstwerk, an dem mit Sicherheit kein Besucher der Kunsthalle vorbeikommt.


Hartmut Jahn





Schalten Sie den Fernseher ab!

// Berlin, 2005

"Schalten Sie den Fernseher ab!", fordert Medienkünstler Hartmut Jahn, der auf zwölf Monitoren ein umfangreiches Dokument der Fluxus-Bewegung präsentiert. Ende der 50er Jahre revolutionierten Wissenschaftler und Künstler das Bild der Welt: In Fluxus und Aktionskunst fanden sie ihren Ausdruck. Künstler wie John Cage, Nam June Paik, Yoko Ono, Ben Vautier oder Carolee Schneemann verstörten die Kunstwelt mit spielerischem Witz, sprudelndem Geist und anarchischer Klarheit.


Rachel Reupke





Tignes

// Großbritannien, 2005

Ein Alpenpanorama aus der Sicht einer Webcam. Eine trügerische Idylle, denn im Winter verdeckt der Schnee die menschlichen Eingriffe in die Natur. Reupke hingegen romantisiert die Abbildungstechnik, in dem sie scheinbar Spinnweben vor der Linse wachsen lässt, um zu betonen, wie objektiv und ohne menschlichen Eingriff die Aufnahmen entstehen. Eine Finte.


Egbert Mittelstädt


Bewegtbilder

// Köln, 2002 – 2005

Egbert Mittelstädt entkoppelt Zeit und Raum. Sein ’slit scan’ Verfahren schreibt lediglich Bewegungen in konkreter ’erkennbarer’ Form auf das Filmmaterial. Unbewegtes wird hingegen zu abstrahierten, farbigen Streifen komprimiert. In einem fantastisch-ruhigen Fluss der Farbstrukturierungen entsteht so eine Spannung zwischen Unschärfe und Abbildung, zwischen konkreten und abstrakten Bildelementen.

Das European Media Art Festival dankt den Firmen Hellmann Worldwide Logistics und PCO für die Realisierung dieser Präsentation der Arbeiten von Egbert Mittelstädt.

// Präsentiert im Foyer des DCC (Bürogebäude der Firmen Hellmann und PCO, Hafenstr. 11, 49090 Osnabrück).